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KI für mehr Frische: Wie tsenso die Lebensmittelwelt verändert 

foodRegio: Wie hat Ihre berufliche Entwicklung zur tsenso GmbH geführt?  


Dr. Mattias Brunner: Ich war lange Zeit in einem großen Konzern tätig. Irgendwann wurde ich ungeduldig und dachte, das kann es doch nicht gewesen sein. Ich wollte endlich mein eigenes Ding wagen. Ich hatte eine gute Idee, habe mich damit selbstständig gemacht – und so wurde tsenso geboren. 


foodRegio: Was ist die Idee hinter tsenso?  


Dr. Mattias Brunner: Wir wollen die Qualität von Lebensmitteln entlang der gesamten Lieferkette transparenter machen. Dabei geht es nicht nur um die lückenlose Rückverfolgbarkeit, sondern auch um dynamische Qualitäts- und Verderbsbewertungen, die auf den realen Lager- und Transportbedingungen basieren. Kernelement ist der Digitale Zwilling des Produktes. Er berücksichtigt Fertigungsdetails, Temperaturverläufe und Qualitätsprüfungen, um die Frische und Sicherheit von Produkten wie Obst, Gemüse oder Fleisch besser einschätzen zu können. Verbraucher und Händler erhalten dadurch verlässliche Informationen über den tatsächlichen Zustand eines Lebensmittels. 


foodRegio: Wie nutzen Sie KI in diesem Prozess?

 
Dr. Mattias Brunner: KI kommt bei uns an vielen Stellen zum Einsatz – etwa bei der Datenvalidierung oder beim Auffüllen fehlender Informationen. Sie analysiert Temperaturverläufe, mikrobiologische Daten und unterstützt bei der Bilderkennung sowie Schadstellendetektion. Durch die Verknüpfung von Daten aus Produktion, Logistik, Lagerung und Verkauf trägt sie wesentlich zur Erhöhung der Lebensmittelsicherheit bei. 


foodRegio: Gibt es ein konkretes Projekt, das Ihre Arbeit und den Einsatz von KI veranschaulicht?

 
Dr. Mattias Brunner: Ja, wir sind Teil des Projekts Zukunftslabor 2030 des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Es handelt sich um ein interdisziplinäres Forschungsprojekt zur digitalen Transformation der Lebensmittelwirtschaft. Ziel ist es, Lebensmittelverluste zu reduzieren, Qualität zu sichern und den Verbraucherschutz zu stärken. Dabei werden KI und innovative Messmethoden eingesetzt, um die Haltbarkeit und Sicherheit von Lebensmitteln – insbesondere frischer, leicht verderblicher Produkte wie Schweinehack, Putenschnitzel und Rohwürste – präzise vorherzusagen. 


foodRegio: Was möchten Sie mit dem Projekt bewirken? 


Dr. Mattias Brunner: Wir wollen sicherstellen, dass am Point of Sale nur einwandfreie Ware beim Kunden ankommt. Sollte es dennoch Beschwerden geben, können wir nachweisen, ob das Produkt beim Gefahrenübergang qualitativ in Ordnung war. Wenn ein Lebensmittel vorzeitig verdirbt, liegt das meist an unsachgemäßer Lagerung – etwa bei zu hohen Temperaturen. Solche Aussagen können wir heute sehr präzise treffen. 


foodRegio: Wie funktioniert das konkret?  


Dr. Mattias Brunner: Jede Charge hat spezifische Eigenschaften, die erfasst und modelliert werden. So lässt sich genau vorhersagen, wie sich ein Produkt unter verschiedenen Transportbedingungen verhält – etwa in Lkws mit unterschiedlichen Temperaturen und Fahrzeiten. Auf Basis dieser Daten erstellen wir präzise Haltbarkeitsprognosen. 


foodRegio: Welche Veränderungen bringt KI für die Ernährungsbranche? 


Dr. Mattias Brunner: Das Potenzial ist riesig. Die Auswirkungen könnten größer sein als die der industriellen Revolution vor 200 Jahren – auch wenn wir erst am Anfang stehen. Natürlich wird es auch Herausforderungen geben, etwa durch Arbeitsplatzveränderungen. Aber Menschen werden immer essen. Deshalb sehe ich KI im Lebensmittelbereich als unterstützend, nicht als bedrohlich. Sie bringt neue Produkte, Rezepte, Ideen zur Haltbarkeit und zur Personalisierung von Ernährung und Marketing. 


foodRegio: Welchen Beitrag leistet tsenso konkret? 


Dr. Mattias Brunner: Unser Beispiel ist Schweinehack. Wir haben erkannt, dass ein festes Haltbarkeitsdatum nicht für alle Verbraucher gleich sinnvoll ist. Manche reagieren empfindlich auf Geruch und Optik, andere sind toleranter. Deshalb sollte Lebensmittelsicherheit differenzierter betrachtet werden. Es gibt viele Möglichkeiten zur Konsolidierung – etwa durch die Kombination von Laboranalysen, Sensorikdaten, Rückverfolgbarkeitsinformationen und Verbraucherfeedback. 


foodRegio: Welche Risiken sehen Sie?  


Dr. Mattias Brunner: Die Lebensmittelwirtschaft ist oft wenig innovationsfreudig. Viele Unternehmen reagieren erst, wenn gesetzliche Vorgaben kommen oder Wettbewerber mit neuen Produkten erfolgreich sind. KI könnte helfen, mit geringem Aufwand Kundenbedürfnisse frühzeitig zu erkennen und zeitgemäße Produkte zu entwickeln – ohne große Investitionen. 


foodRegio: Was motiviert Sie persönlich beim Einsatz von KI?  


Dr. Mattias Brunner: Seit acht Jahren versuche ich, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Haltbarkeit und Verzehrbarkeit zwei unterschiedliche Dinge sind. Die gesetzliche Definition der Haltbarkeit stammt aus den 1970er Jahren – und führt heute zu unnötiger Lebensmittelverschwendung. Diese lässt sich nur reduzieren, wenn wir Haltbarkeit neu denken. 


foodRegio: Haben Sie dazu ein konkretes Beispiel?  


Dr. Mattias Brunner: Ja, Schweinehack ist ein sehr sicheres Produkt. Es enthält keine hitzebeständigen Toxine oder Sporenbildner und wird vor dem Verzehr immer erhitzt. Trotzdem verlangt der Gesetzgeber ein Verbrauchsdatum. Das führt zu einem Status quo, der schwer zu ändern ist. Wir müssen zwischen Genießbarkeit und gesundheitlicher Unbedenklichkeit unterscheiden. Dafür kämpfe ich. Natürlich wollen Unternehmen nur einwandfreie Produkte verkaufen. Wir brauchen ein Mindesthaltbarkeitsdatum, das dafür sorgt, dass ein zwei Wochen alter Joghurt nicht mit einem vier Monate alten verglichen wird – was unfair wäre. Dennoch muss es Wege geben, Konsumenten zu zeigen, dass auch abgelaufene Produkte noch verzehrbar und bei richtiger Zubereitung auch voll genießbar sind. Diese Sensibilisierung ist meine zentrale Motivation.