Im Gespräch mit Prof. Dr. med. Christian Sina
Christian Sina ist Gastroenterologe und Direktor des Instituts für Ernährungsmedizin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein. Mit foodRegio spricht er darüber, welchen Stellenwert personalisierte Ernährung in der Medizin hat, und wo noch Verbesserungsbedarf besteht.
foodRegio: Wie würden Sie personalisierte Ernährung definieren?
Prof. Sina: Das Konzept der personalisierten Ernährung basiert auf der Erkenntnis, dass Menschen sehr individuell auf Lebensmittel reagieren und daher auch individuelle Ernährungsempfehlungen benötigen. Ziel ist es, durch Bestimmung von z.B. Genen, der Zusammensetzung des Mikrobioms oder auch Stoffwechselparametern, Menschen basierend auf ihren Bedürfnissen optimale Ernährungsempfehlungen zu geben, um so z.B. Erkrankungen vorzubeugen, diese zu bekämpfen oder auch etwas allgemeiner gesprochen, das körperliche Wohlbefinden zu steigern.
Welches Potential bietet personalisierte Ernährung generell und in Hinsicht auf personalisierte Medizin? Welche Aspekte finden Sie besonders wichtig?
Das Potential ist riesig. Über die Regelmäßigkeit der Nahrungszufuhr können wir unseren Stoffwechsel effektiv modulieren und potentiell auch unser Immunsystem kontrollieren - die beiden wichtigsten Determinanten für den Erhalt von Gesundheit. Wenn wir es schaffen, das für uns „Richtige“ zu essen, dann besteht die große Chance, dass wir über unsere Ernährung zivilisatorische Erkrankungen wie z.B. Diabetes mellitus Typ 2 verhindern können. Es geht also in Richtung der Prävention und der frühen Intervention - beides Dinge, die wir in der Medizin dringend brauchen.
Wie tragen Sie zum Forschungsgebiet der personalisierten Ernährung bei?
Aktuell geht es darum, erst einmal festzustellen, was denn das richtige Essen für eine Person ist. Eine unheimlich komplexe Fragestellung, deren Beantwortung voraussetzt, dass man sich sowohl mit der Erfassung von Gesundheitsdaten als auch mit Zusammensetzung und Metabolisierung von Lebensmitteln gut auskennt. Um dieses Wissen zu mehren und an nachfolgende Generationen weiterzugeben, wurde 2016 das Institut für Ernährungsmedizin an der Universität zu Lübeck gegründet und der Studiengang Medizinische Ernährungswissenschaft etabliert. Aktuell befassen wir uns u.a. mit der Messung der individuellen Stoffwechselreaktion auf definierte Lebensmittel über z.B. Bewegungs- und Glukosesensoren und erforschen die Ursachen der zunehmenden Anzahl an Intoleranzen gegenüber Lebensmitteln. Beides versuchen wir u.a. durch Methoden der künstlichen Intelligenz möglichst passgenau in die jeweiligen Ernährungspräferenzen einer Person zu integrieren. Damit adressieren wir mit unserer Forschung die drei wesentlichen Eckpfeiler der personalisierten Ernährung: a) individueller Geschmack, b) Toleranz gegenüber Lebensmitteln und c) individueller Gesundheitsnutzen.
Welche Probleme oder Hindernisse gibt es auf diesem Forschungsgebiet?
Übergeordnet geht es um den Nachweis, dass das, was wir tun, tatsächlich effektiv ist und dazu führt, dass die Menschen in Zukunft besser und gesünder leben. Nur so wird es möglich sein, sie von der Wichtigkeit von personalisierter Ernährung zu überzeugen. Hierzu sind große Untersuchungskollektive von Nöten, was organisatorische und finanzielle Herausforderungen mit sich bringt. Für die Art von Forschung, die wir betreiben, braucht es zudem hochqualifizierte Fachkräfte, insbesondere in der IT. Beides zeigt auf, wie wichtig die Zusammenarbeit in der Region und zwischen Wissenschaft und Wirtschaft ist.
Wo sehen Sie Raum zur Optimierung bzw. vertiefender Forschung?
Wichtig ist es, Stakeholder aus den Bereichen der Gesundheitsbranche und der Ernährungswirtschaft zusammenzubringen. Da hat foodRegio mit der NewtritionX und der Fokusgruppe personalisierte Ernährung schon ein sehr gutes Format. Hierum formieren sich nun erste gemeinsame Projekte, über die das Thema vorangebracht werden soll. Dabei profitiert akademische Wissenschaft von der hohen lebensmittelchemischen und -technologischen Expertise innerhalb der foodRegio. Auf der anderen Seite besteht über die Universität zu Lübeck mit ihrem klaren Life Science Charakter ein direkter Zugang zu „state of the art“-Technologien und medizinischer Expertise. Beide Seiten sind essentiell, um die nächsten Schritte in Richtung personalisierte Ernährung zu gehen.
Wie wird personalisierte Ernährung die Medizin und den Lifestyle in der Zukunft prägen?
Der Zusammenhang von zivilisatorischen Erkrankungen, unserem Lifestyle sowie unserer Ernährung ist offensichtlich. Um diesen Erkrankungen effektiv entgegenzutreten, müssen wir in weiten Teilen unser Ernährungsverhalten ändern. Personalisierte Ernährung bietet in einer urbanen Welt mit einem 24/7 Lifestyle einen wichtigen Ansatz, um den Herausforderungen unseres Alltags zu begegnen. Hierbei geht es vor allem um intelligente Anpassungen unseres Ernährungsverhaltens entlang der eigenen Geschmackspräferenzen und nicht um das Einhalten von Diäten. Darüber hinaus bietet personalisierte Ernährung über die gezielte Beeinflussung des Stoffwechsels die Möglichkeit in Krankheitsprozesse zu einem sehr frühen Zeitpunkt einzugreifen, also bereits dann, wenn noch keine Symptome vorliegen. Schon heute können wir in ausgesuchten Indikationen durch gezielte Ernährungsinterventionen Krankheitsprozesse stoppen oder zumindest deutlich verlangsamen. Mit zunehmender Digitalisierung im Gesundheitssystem und durch den Einsatz von robusten, schnell verfügbaren Analysetools wird sich diese Entwicklung rasant weiterentwickeln.
Welche Möglichkeiten sehen Sie in der Zusammenarbeit mit foodRegio?
Wichtig ist in meinen Augen, dass es uns gelingt, Medizin- und Ernährungsbranche noch besser als bisher zu verknüpfen. Voraussetzung hierfür ist es, dass die Medizin das große Potential der Ernährung erkennt und sich Nahrungsmittelproduzenten auch als Teil der Gesundheitskunde verstehen. Die foodRegio ist hierbei eine ideale Plattform, um gemeinsam an intelligenten Lösungen zu arbeiten. Die bisherigen Aktivitäten erzeugen auch international Aufmerksamkeit und strahlen in andere Regionen ab. Daher bin ich guter Hoffnung, dass es uns gelingt das Thema personalisierte Ernährung weiter erfolgreich voranzutreiben.
Mehr Informationen finden Sie unter: https://www.uksh.de/Ernaehrungsmedizin_Luebeck/