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Im Gespräch mit Dr. Dr. Torsten Schröder

Dr. Dr. Torsten Schröder über personalisierte Ernährung in der Medizin

Dr. med. Dr. rer. nat. Torsten Schröder ist Facharzt für Innere Medizin, Diabetologe und Ernährungsmediziner. Über 10 Jahren arbeitete er am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein und beschäftigte sich vorrangig mit der Behandlung und Erforschung von Stoffwechselerkrankungen. 2016 hat er das Unternehmen Perfood GmbH mitgegründet und entwickelt digitale Therapieprodukte auf Grundlage personalisierter Ernährungsempfehlungen. Im Gespräch mit foodRegio berichtet er über seine Erfahrungen mit der Anwendung von personalisierter Ernährung in der Praxis.

foodRegio: Welchen Stellenwert hat die personalisierte Ernährung im medizinischen Praxisalltag?

Schröder: Die moderne Ernährungsmedizin der Uniklinik fokussiert sich vor allem darauf, Erkrankungsrisiken zu identifizieren, medikamentöse Therapien einzuleiten und den Patienten zu überwachen. Die eigentliche Umsetzung der ernährungsmedizinischen Empfehlungen findet außerhalb der Klinik statt. Das liegt zum einen daran, dass es zu wenig Fachkräfte in diesem Bereich gibt, zum anderen gibt es kaum Möglichkeiten der Kostenerstattung. Deswegen werden Ernährungstherapien häufig nicht umgesetzt. Zusätzlich sind aktuelle Empfehlungen überwiegend  pauschal gehalten, sodass jeder dieselbe Empfehlung erhält und individuelle Faktoren keine ausreichende Beachtung finden. Ernährungsempfehlungen fokussieren dabei auf die Lebensmittel, welche beispielsweise in die Kategorien „gut“ und „schlecht“ eingeteilt werden. Wir wissen jedoch, dass Stoffwechselreaktionen hoch individuell sind. So können klassischer Weise „ungesunde“ Lebensmittel bei manchen eine positive Körperreaktion hervorrufen und umgekehrt auch „gesunde“ Lebensmittel negative Reaktionen. Ziel muss es daher sein, für die spezifischen Stoffwechselbedürfnisse spezifische Empfehlungen zu geben und dafür geeignete Personalisierungsstrategien zu entwerfen.

Gibt es einen bestimmten Parameter, anhand dessen eine stoffwechsel-optimierte Ernährung erstellt werden kann?

In einer Studie von Zeevi et. al aus 2015 konnte gezeigt werden, dass die postprandiale Blutzuckerregulation, also die Veränderung des Blutzuckers nach der Nahrungsaufnahme, eine wichtige, individuelle Stellgröße ist. Dabei hat sich herausgestellt, dass Personen auf das gleiche Lebensmittel unterschiedlich reagieren können. Während bei einem der Blutzucker nach dem Essen stabil bleibt, schnellt er bei einem anderen in die Höhe. Mit dem Wissen über die individuelle Reaktion auf bestimmte Nahrungsmittel kann eine auf das Individuum zugeschnittene, niedrig-glykämische Ernährung erstellt werden. Gleichzeitig ist der Blutzucker ein wichtiger Einflussfaktor und bestimmt z.B. das Risiko für krankhaftes Übergewicht, Diabetes mellitus und Folgeerkrankungen mit.

Und das ist der Schwerpunkt, mit welchem Sie sich beschäftigen? 

Richtig. Dabei ist es wünschenswert, nicht nur für erkrankte Patienten die für sie persönlich beste Ernährung zusammenzustellen, sondern dies jeder Person zu ermöglichen. Mit diesem Ziel haben wir das Universitäts-Spin-off Perfood gegründet und das MillionFriends-Programm entwickelt. Dabei handelt es sich um ein Consumer-Produkt, bei dem der Gewebszuckerspiegel über zwei Wochen kontinuierlich aufgezeichnet wird. Parallel dazu wird über die App festgehalten, wann was gegessen wurde, wann Sport gemacht wurde, und so weiter. Seit ca. drei Jahren ist MillionFriends auf dem Markt. Der nächste Schritt war dann die Entwicklung von Therapieprodukten als Teil einer ärztlich überwachten Behandlung. Hierbei werden auf Grundlage der Blutzuckeranalysen für bestimmte Erkrankungen spezifische Ernährungstherapien erstellt, die dauerhaft wissenschaftlich mit klinischen Studien begleitet werden.

Für welche Erkrankungen eignet sich diese Therapieoption?

Ein Krankheitsbild ist beispielsweise Migräne. Mit sinCephalea haben wir ein Medizinprodukt zur Prophylaxe von Migräneanfällen mit einer personalisierten Ernährung entwickelt. Das wird u.a. ergänzt durch das Führen eines Symptomtagebuchs und Lektionen über erkrankungsspezifisches Verhalten. Es geht dabei auch nicht um eine Diät oder eine komplette Ernährungsumstellung, sondern um zielgerichtete, kleine Anpassungen in der alltäglichen Ernährung. Mit dem gleichen Prinzip können auch weitere Therapieprodukte entwickelt werden. Grade beim Thema Blutzucker drängt es sich praktisch auf, mit Diabetespatienten  zu arbeiten. Beim Typ 2 Diabetes im Speziellen handelt es sich um eine Insulinresistenz, bei der die körpereigene Wirksamkeit von Insulin eingeschränkt ist. Mit MillionFriends konnten die Teilnehmer kleine Anpassungen ihrer Ernährung vornehmen und dadurch eine Gewichtsabnahme erzielen, welche sich positiv auf die Blutzuckerwerte auswirkt. Auch, wenn die Gewichtsabnahme primär über eine Kalorieneinsparung erzielt wird, trägt eine stoffwechselgerechte Ernährung dazu bei, den Blutzuckerspiegel konstant zu halten und somit ein besseres Sättigungsgefühl zu erzeugen. So entstehen weniger Heißhungerattacken, was langfristig für den Therapieerfolg sorgt. Wir starten gerade eine klinische Studie mit Diabetes mellitus, um auch die ernährungsmedizinische Therapie zu verbessern.

Könnten solche Methoden im Praxisalltag Einzug finden?

Wir konnten zeigen, dass im Durchschnitt unsere sinCephalea-Anwender ein Drittel weniger Tage mit Migränekopfschmerzen zu kämpfen hatten. Das weist auf eine sehr hohe Effektivität hin. Auf der Grundlage dieser Daten haben wir beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte die Aufnahme in die Liste für Digitale Gesundheitsanwendungen (DIgA) beantragt. Somit wäre unser Programm von den Krankenkassen erstattungsfähig, und kann Teil einer ärztlich verordneten Therapie werden. Der große Vorteil gegenüber einer medikamentösen Therapie besteht hierbei darin, dass durch eine Ernährungstherapie keine Medikamenten-Nebenwirkungen entstehen können, gleichzeitig aber unsere Daten Wirkungen auf Medikamenten-Niveau anzeigen. Mittels dieses flexiblen Systems können die Bedürfnisse der Patienten von vornherein in Betracht gezogen und in die Versorgungsrealität integriert werden. Das zusammen liefert einen wesentlichen Beitrag für die digitale Medizin der Zukunft.

Mehr Infos finden Sie unter www.perfood.de